Spiel und Risiko

Ein Spiel ist ein Spiel, wenn es Unvorhersehbares enthält, es Freude und Befriedigung in Aussicht stellt, aber auch die Möglichkeit von Ärger und Leid. Das reizt Kinder am Spiel. Damit trainieren sie das, was unseren Alltag ausmacht: das flexible Reagieren auf Unwägbarkeiten. Spiel beinhaltet also immer Risiken.

Spiel ist nicht planbar. Und genau das macht seinen Reiz aus.  Man startet von Bekanntem, einer bekannten Umgebung, einem bekannten Gegenstand, mit bekannten Kinder oder bekannten Spielregeln. Im Spielverlauf bieten sich aber Herausforderungen: Stürzt die Sandburg wieder ein? Gelingt es, jemanden zu fangen oder zu finden? Welche Materialien finde ich, um eine Bude zu bauen? Wie reagieren meine Spielkameradinnen, wenn ich die „Lehrerin“ bin? Fehlt dieser Reiz, dann ist das Spiel langweilig und damit kein Spiel mehr.

Kinder erhoffen sich vom Spiel, dass es Freude macht, wissen aber, dass es unangenehme Wendungen geben kann. Und genau diese Erwartung von Freude gemischt mit Furcht ist es, die Kinder im Spiel antreibt.

Kinder nehmen also bewusst Risiken auf sich, das Risiko, beim Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel zu verlieren, sich beim Rollenspiel nicht wie erwartet in der neuen sozialen Rolle wohl zu fühlen und …. beim Toben und Klettern zu fallen, sich beim Raufen mit anderen zu verletzen.

Kinder vor Verletzungen zu schützen, hat bei vielen Eltern und Pädagogen einen so hohen Stellenwert, dass Kinder heute stark behütet werden. Erzieherinnen und Lehrkräfte stehen unter einem hohen Druck, eine sichere Betreuung zu gewährleisten. So ist in Großbritannien die rechtliche Haftung von Einrichtungen so strikt, dass keine Abenteuerspielplätze, auf denen die Kinder mit Werkzeugen umgehen, möglich sind.

Die langfristigen Risiken einer stark behüteten Kindheit werden kaum beachtet. Kinder ohne ausreichende Bewegungsübung verletzen sich bereits bei leichten körperlichen Belastungen. Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sie als Erwachsene von Herz-Kreislauferkrankungen betroffen sind und vorzeitig versterben. Stark kontrollierte Kinder haben wenig Gelegenheit, eigenständige  soziale Erfahrungen zu machen.

Natürlich können Kinder viele Gefahren im Straßenverkehr nicht überschauen. Kleine Kinder können Wasserflächen nicht einschätzen. Aber wenn Kinder laufen, klettern, hüpfen, balancieren, raufen, mit dem Ball spielen oder Fahrrad fahren, dann haben sie ein gutes Gefühl dafür, wo ihre eigenen Grenzen sind und wie sie diese beharrlich – in ihrem eigenen Tempo – verschieben können.

Was ist dann die Aufgabe von Erwachsenen? Erwachsene müssen sichere Spielräume zur Verfügung stellen, in denen Kinder ihre eigenen Erfahrungen machen können, Tränen, aufgeschrammte Knie und blaue Flecken eingeschlossen. Das bedeutet, dass sich alle Erwachsenen, Autofahrer, Radfahrer, Hundehalter darauf einstellen müssen, dass der öffentliche Raum auch Kinderspielraum ist.

Ohne Risiko gibt es kein Spiel und ohne Risikoerfahrung kein entwicklungsgerechtes Aufwachsen. Leben bedeutet, mit Unwägbarkeiten und Risiken umzugehen. Leben heißt, intelligente Lösungen zu finden für Probleme, vor die wir gestellt werden, das Unerwartete, dass in jedem Augenblick steckt, nicht nur auszuhalten, sondern auch mit Befriedigung zu meistern. Darauf wollen sich Kinder vorbereiten.

Zum Weiterlesen

Christiane Richard-Elsner: Fallen lernt man nur durch Fallen, Freelounge, (2) 2013, S. 56-59.

Christiane Richard-Elsner, Draußen spielen, Beltz Juventa, 2017

Hier ein (deutschsprachiger) Text aus Norwegen über echtes Spiel, was Risiken beinhaltet, die Kinder beherrschen können: Echtes Spiel und Risiko

Video

Hier ein Video von Unfallkasse Nord und DAK zu Spiel und Risiko: Fazit: Was sind blaue Flecken gegen Entwicklungsstörungen?

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